Improvisation

Über Stress im Instrumentalunterricht aufgrund von Technik hatten wir schon gesprochen. Den größten Stress empfand ich aber immer dann, wenn mich irgendwer aufforderte, ich solle jetzt improvisieren.

Ich sollte mir jetzt also ganz schnell, ganz schnelle Melodien ausdenken - und das, wo mir noch nicht einmal langsam langsame Melodien einfielen.

Improvisieren war für mich jahrelang das, was man aus dem Jazz kennt: endlose auf- und abgehende schnelle Läufe: Je schneller die Läufe, um so besser die Improvisation und um so größer der Beifall.

Für mich einfach nur ein nervtötendes Gedudel, das jeglicher Schönheit entbehrt und das aber als ganz besonders hohe Kunst angesehen wird.

Ich konnte das nicht und ich wollte das nicht.

Und dann entdeckte ich aber per Zufall, was Improvisation für mich heute wirklich bedeutet.

Ich entdeckte es nicht beim Spielen eines Instruments, sondern beim Tanzen:

Während eines Seminars machten wir eine Übung, die als "Schüttelmeditation" bezeichnet wurde und die wohl auf Osho zurückgeht.

Die Übung besteht aus 4 Teilen zu je einer Viertelstunde:

Die erste Viertel Stunde sollte man sich einfach nur Schütteln und die zweite Viertelstunde sollte man tanzen - was danach kam, habe ich vergessen. Dazu lief irgendeine Techno-Musik.

Das Erstaunliche war jetzt:

Während ich also die erste Viertelstunde schüttelte, fing mein Körper immer wieder an zu tanzen - und zwar von ganz allein!

(Die 3. Kraft lässt grüßen.)

Ich schüttelte wie wild und mein Körper brach immer wieder in Tanzbewegungen aus. Mein Körper improvisierte und zwar ohne jedes Überlegen und ohne jede Mühe. Es geschah vollkommen spontan von innen heraus.

Ich probierte das später immer wieder, wobei ich das Schütteln ersetzte durch irgendein einfaches Bewegungsmuster.

Und das ist genau der Schlüssel zu dieser Art von Improvisation:

Einfache Grundmuster

Zum Beispiel ein einfacher Tanzgrundschritt.

Und was beim Tanzen funktioniert, funktioniert genauso beim Spielen eines Instrumentes.

Der Schlüssel sind einfache Grundmuster. Die Rückkehr zu einfache Melodien oder Rhythmen.

Einfach das Spielen, was einem gerade in den Sinn kommt und dann schauen, was sich dabei entwickelt. Die Entwicklungen kommen dabei ganz spontan von innen, ohne dass man darüber nachdenken muss oder sich sonstwie anstrengen muss, sie zu erzeugen.

Die Hürde dahin ist, dass das, was der richtige Einstieg wäre, zu einfach und damit wertlos erscheint.

Eine sehr verbreitete Fehlannahme in der gegenwärtigen Kunst- und Musiklandschaft besteht darin anzunehmen, dass nur das Komplizierte, Anspruchsvolle und Virtuose einen künstlerischen Wert hätte.

Diese Annahme verhindert, dass Menschen das Tor zu echter Kreativität finden, welches in einfachen Grundmustern als Ausgangspunkt besteht.

Es wird zu kompliziert gedacht.

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